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Spaßgesellschaft - haben "echte Deutsche" keine schwere Probleme und Schmerz?

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich würde sehr gerne eure Meinungen über deutsche Spaßgesellschaft lesen. Ich unterrichte Deutsch und möchte mich über deutsche Mentalität möglichst bestens informieren.

Man hört oft von Auswanderer, dass das Leben der Deutschen nur Spaß bedeutet. Wenn man deutsche TV-Serien anguckt, denkt man, dass das größte Problem der Deutschen eine bessere Auto, Yacht oder Haus ist.

Ist deutsche Gesellschaft wirklich nur eine Spaßgesellschaft? Haben Deutsche ohne Migrationshintergrund keine existenzbedrohende Probleme? Selbstverständlich hier frage ich nicht nach die Bedrohungswahrnehmung der Nationalisten.

Stichwort: Mentalität, Gesellschaft, Spaß, Schmerz

Herzlichen Dank!
N. Meys

Guten Tag, N. Meys,

es freut mich immer sehr, wenn Lehrer versuchen, sehr tief in ein Thema zu dringen, bevor sie dieses in ihrem Unterricht besprechen. Gerne versuche ich zu schildern, wie ich die deutsche Gesellschaft als Spassgesellschaft sehe.

Ganz zu Beginn wäre es wohl wichtig zu sagen, dass selbstverständlich nie alle Mitglieder einer Gesellschaft dem entsprechen, was man so über diese Gesellschaft sagt. Also auch nicht alle "echten Deutschen", wie Sie sagen, werden in das Muster passen, das ich weiter unten zu beschreiben versuche. Auch hier gibt es viele Leute, die von der Vorstellung, das Leben sollte idealerweise nur aus Urlaub, Party und Konsum bestehen, gar nichts halten.
Ein zweiter ganz, ganz wichtiger Punkt ist, dass es bei dieser Bezeichnung Spassgesellschaft wohl weniger um das geht, was die Leute haben/sind/leben, sondern deutlich mehr um das, was sich sehr viele zum Ziel setzen, ein vermeintliches Ideal, wovon sie träumen und an welchem orientiert sie sich auch selbst darzustellen versuchen. Also auch "Traum" und "Selbstdarstellung" oder "Selbstinszenierung" sind in diesem Zusammenhang wichtige Begriffe.

Natürlich gibt es in Deutschland auch eine Menge von Leuten, die für sich diese Träume im materiellen Bereich auch mehr oder weniger realisieren können, Leute, die wirklich einfach so ihr Traumauto kaufen, große Häuser mit ganzen Parks oder zumindest großzügig bemessenen Gärten drumherum besitzen u.s.w. Aber selbstverständlich gibt es auch für diese Leute Grenzen, sobald etwas nicht mehr für Geld zu haben ist - so, wie es auch in allen anderen Ländern dieser Welt ist. Obwohl wir hier in Deutschland sehr gute medizinische Möglichkeiten haben und man diesbezüglich, wenn man viel Geld hat, noch besser versorgt ist, ist natürlich auch der reicheste Deutsche - Spassgesellschaft hin oder her - nicht davor geschützt, dass entweder er oder geliebte Familiemitglieder oder Freunde schwer krank werden. Mit entsprechendem Geld kann man sich zwar gute Behandlungen und gute Pflege leisten - aber Schmerzen, Behinderung, Angst vor dem Tod, Trauer um geliebte Mitmenschen, die von einem gegangen sind - davor ist niemand geschützt. Und natürlich quält diese Menschen auch alles andere, was die Menschen in aller Welt so quält: Liebeskummer, Versagensängste, all die normalen Sorgen um z.B. die Familie, die Angst, nicht gebraucht, nicht geliebt, nicht geachtet zu werden, die Frage, ob man ein guter Vater oder eine gute Mutter ist, Zweifel darüber, in seinem Beruf die richtigen Entscheidungen zu treffen, für seine, Familie, Freunde und die Freizeit noch genügend Zeit zu haben u.s.w.
Und damit haben wir nur über die Deutschen gesprochen, die nicht über Geld nachdenken brauchen. Das ist nur ein kleiner Teil unserer Gesellschaft. Die Armut, dass man kein Dach über dem Kopf hat, dass man hungern und dursten muss, dass man keinen Arzt oder keine Schule besuchen kann, die gibt es in Deutschland zum Glück nicht - jedenfalls nicht, wenn man sich, sollte man keine/nur extrem schlecht bezahlte Arbeit haben, an bestimmte Regeln hält, die z.B. unsere Sozialgesetze vorschreiben. Und sicherlich hat das schon auch etwas mit dieser sogenannten Spassgesellschaft zu tun, dass man eine Art Grundabsicherung hat. Es muss hier niemand in materieller Hinsicht - und auch nicht wegen einer Bedrohung durch z.B. Krieg und allgemeine Gewalt auf den Straßen - um sein Überleben oder das Überleben seiner Familie kämpfen. Und auch wenn es viele Fälle gibt, in denen Leute (oft auch samt ihrer Familien) finanziell große Abstürze erleben, so gibt es hier immer Lösungen, die einem zumindest eine noch gut lebbare Existenzgrundlage sichern. Nur - auch wenn auch das mehr ist als nur das, was man zum nackten Überleben braucht - führen höhere Ansprüche einer ganzen Gesellschaft auch dazu, dass der Druck auf den Einzelnen größer wird, da mithalten zu können ... und auch dazu, dass manche kleine Vergnügen, die in manch anderem Land (fast) jedem zugänglich sind, relativ viel Geld kosten und für jemanden, der nur über ein vergleichbar geringes Budget verfügt, nicht finanzierbar sind. So ist in Deutschland zum Beispiel das Angeln mit bestimmten Genehmigungen verbunden, mit viel Bürokratie, Kursen und Prüfungen und vielen ziemlich hohen Gebühren, die man bezahlen muss. An vielen anderen Orten der Welt, die ich besucht habe, ist das Angeln etwas, das jedem überall ohne Zahlungen von Geldern erlaubt ist. Auch manch andere sportliche Aktivitäten, Kosten für öffentliche Verkehrsmittel, Eintrittspreise für einen Großteil von Konzerten und andere kulturelle Veranstaltungen sind hier so hoch, dass diese Dinge trotz des relativen Reichtums unseres Landes für viele Leute mit geringem Einkommen nicht erschwinglich sind, während ich in vielen deutlich ärmeren Ländern erlebt habe, dass dort die Preise in manchen Regionen zumindest so gehalten werden, dass dort auch ein Großteil der Leute, die für jene Länder ziemlich arm sind, sich da noch ein wenig was von leisten können. Es ist also schon eine Verschiebung zwischen den Ländern da, wodurch auch in manchen wohlhabenderen Ländern größere Gruppen zu bestimmten Dingen schwerer Zugang haben können als das in manchen anderen, weniger wohlhabenderen Ländern der Fall ist. Das soll kein Jammern sein. Es geht den Leuten hier gut. Aber Sie haben danach gefragt, ob die Leute gar keine Sorgen hätten. Und gerade so diese jedem gesicherte Existenzgrundlage zu haben, bedeutet eben sehr häufig trotz des recht hohen materiellen Grundniveaus, nur noch minimal am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, von vielen und von vielem (also von Mitmenschen wie von Aktivitäten) ausgeschlossen zu werden. Und das ist etwas, was viele Menschen, wenn sie das über lange Zeit erleben müssen, krank und stumpfsinnig macht, obwohl sie keine wirkliche materielle Not leiden. Und gerade wenn man Familie hat, Kinder hat, ist das schon eine schwierige Sache. Das heißt also, dass auch viele Deutsche durchaus Geldsorgen haben ... und dazu noch viele Deutsche Ängste vor drohender Arbeitslosigkeit oder anderen Veränderungen haben, die den gerade bei Familien mit Kindern oft sehr knapp kalkulierten Haushaltsplan durcheinanderbringen könnten. Gerade das Thema Arbeitslosigkeit weckt hier sehr viele Ängste. Zwar können wir im weltweiten Vergleich auch darüber nicht klagen, da unsere Arbeitslosenzahlen hier noch relativ gut aussehen ... und eben niemand verhungern muss. Aber während noch vor 15-20 Jahren die meisten gut ausgebildeten Menschen, wenn sie einige Jahre gut und zuverlässig gearbeitet haben, relativ sicher sein konnten, diesen Arbeitsplatz nicht ohne eigenes Verschulden zu verlieren, ist es inzwischen schon so, dass Arbeitslosigkeit praktisch jederzeit über fast jeden kommen kann - und selbst gut ausgebildete Leute, die zu jeder Arbeit bereit wären, bekommen nicht unbedingt schnell wieder einen neuen Job. Es gibt natürlich auch immer solche, die zu wählerisch sind oder schlecht ausgebildet ... Aber es reicht schon, wenn man über 50, in manchen Berufen gar, wenn man schon deutlich über 40 ist, oder wenn man kleine Kinder zu Hause hat oder als Frau noch so jung ist, dass potentielle Arbeitgeber sich vor Ausfall wegen Schwangerschaft fürchten, es reicht, wenn man ein paar Jahre - aus welchen Gründen auch immer - nicht im Beruf war, wenn man kleine gesundheitliche Probleme hat - selbst wenn die einen bei der entsprechenden Arbeit nicht einschränken, wenn man zu sehr spezialisiert ist und diese Spezialisierung grad nicht gebraucht wird, man aber für andere Jobs als überqualifiziert gilt ... Und neben der wirklich existierenden Unsicherheit gibt es sicherlich auch ein Problem in der Mentalität: es stimmt schon, dass sich ziemlich viele Deutsche im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich viele Gedanken über die Zukunft machen: was, wenn morgen das oder übermorgen das ... ? u.s.w. Viele Deutsche sind sehr gut darin, gut zu planen, vernünftig eines aufs andere aufzubauen, Geld zurückzulegen u.s.w. Aber den meisten fehlt auch ein wichtiger Halt, wenn ihnen da eine Zuverlässigkeit wegbricht - z.B. die Zuverlässigkeit, als ordentlicher, fleißiger und gebildeter Mensch mit seinem festen Arbeitsplatz und dem damit verbundenen Gehalt rechnen zu können. Wenn man das nicht kann, wird alles weniger planbar, weniger sicher. Menschen, die - wie durchaus zur "typisch deutschen Mentalität" passend, sehr zum Durchplanen des ganzen Lebens und zum Wählen des sichersten Weges neigen, haben damit sicherlich mehr Schwierigkeiten als Menschen, die sich vor allem auf das Jetzt konzentrieren und mit der Einstellung leben: was morgen kommt, sehe ich morgen - und dann kann ich immer noch drauf reagieren. Aber auch das Problem der Überforderung durch z.B. extrem lange Arbeitszeiten, Überstunden plus Familie und eventuell noch zu pflegende Angehörige, vielleicht Stress am Arbeitsplatz, immer häufiger auch durch Mobbing und extremen Konkurrenzkampf - auch das kennt man hier wie in anderen Ländern auch.

Ängste, Schmerz und Probleme kennen die Leute als auch hier, wie nicht anders zu erwarten - auch wenn es dabei selten um Leben und Tod geht. Das tut es hier gewöhnlich allenfalls bei medizinischen Problemen. Allerdings glaube ich, dass gerade diese "Spassgesellschaft" auch einen Teil dieser Probleme hervorruft.

Was also ist dieses Spassgesellschaft, wenn die Leute auch nicht mehr Spass haben als anderswo - oder zumindest nicht weniger Sorgen? In der Hauptsache ist die Spassgesellschaft, wie bereits kurz erwähnt, meines Erachtens weniger, was die Leute leben, sondern was sie sich zum Ziel setzen, wovon sie träumen, wie sie denken, gerne leben zu wollen. Und da nehmen gerade bei den jüngeren Generationen die Träume in letzter Zeit bei vielen (auch da nicht bei allen!) sehr seltsame Formen an, die man sicherlich mit dem Wort "Spass" umschreiben kann. Es gibt immer mehr Leute (aber wohl nicht nur in Deutschland), die immer weniger Träume haben, die etwas mit wirklichen Lebenszielen zu tun haben, sondern die sich fast nur noch um oberflächliches Vergnügen und materielle Dinge drehen. Es gibt immer mehr - und das in allen Schichten - die vor allem danach streben, tolle Klamotten, immer ein tolles neues Smartphone, eventuell auch ein großes Haus und ein schickes Auto zu haben ... manche auch, sich nicht zu binden und familiär keine Verantwortung übernehmen zu müssen, ständig auf Partys zu gehen, ewig jung, schön, gesund und überall beliebt zu sein, nur Action zu erleben, die Sinne zu berauschen ... Natürlich haben auch diese Menschen Probleme. Sie haben genauso viel und genauso wenig Probleme wie andere. Oder vielleicht haben sie mit der Zeit sogar mehr Probleme als andere, denn nur Partys und ein schickes Umfeld machen auf Dauer nicht glücklich. Und für nicht wenige ist dieser Traum auch so anziehend, dass sie sich z.B. verschulden, um sich so ein Leben finanzieren zu können ... oder dass sie, um immer so glücklich zu wirken, wie sie wirken wollen, um wenigstens nach außen diesen Traum zu leben, ständig wie mit einer aufgesetzten Maske leben, wie der lachend-weinende Harlekin, was natürlich mit der Zeit auch eine große Belastung ist. Und nicht wenige greifen auch irgendwann zu Pillchen, übertreiben es dauerhaft mit dem Alkohol u.s.w., um ein solches Leben auf Dauer überhaupt meistern zu können ... oder vielleicht auch aus Neugierde, weil einem versprochen wird, dass man dann noch mehr Spass hat.
Also mit Spass hat dieser Teil der Spassgesellschaft auf Dauer sicherlich nichts zu tun. Allerdings muss man auch sagen, dass in dem relativ wohlhabenden und dicht besiedelten Land Deutschland auch viele Angebote vorhanden sind - ob nun Disko- und Partyveranstaltungen, Konzerte verschiedenster Art, Theater, Angebote für Reisen, sportliche Aktivitäten, Kurse, in denen man Verschiedenstes lernen oder Hobbys gemeinsam mit anderen Leuten nachgehen kann u.s.w. Das kann sich auch von den "echten Deutschen" nicht jeder leisten. Aber es ist schon ein sehr großer Anteil unter den Deutschen, die organisierte Freizeitangebote, privat Lehrangebote u.s.w. nutzen und das auch nutzen können, ohne auf jeden Cent achten zu müssen. Und das ist neben der eher in den Köpfen spukenden Idee vom Dauerspass sicherlich auch ein wichtiger Punkt, der mit zu dem Begriff Spassgesellschaft führt. Und wenn man das nötige Geld hat und dort nicht nur von außen draufschauen muss, sondern selbst dran teilhaben kann ... und wenn man das in einem vernünftigen Maß und in einer guten Auswahl nutzt, können diese Dinge schon zu einer hohen Lebensqualität und damit mehr Freude am Leben, eben "Spass", beitragen.

Ein weiterer Punkt, der auch mit dem realtiven Wohlstand in diesem Land zu tun hat, ist, dass es sich fast alle leisten können, Abitur zu machen und zu studieren. Die einen müssen mehr aufs Geld gucken als die anderen - aber irgendwie kriegt das schon jeder hin. Und auch wenn es Studiengänge gibt, in denen man so viel pauken muss, dass - wenn man nicht gerade ein halbes Genie ist - kaum Zeit zum Vergnügen bleibt, so gibt es ja auch viele Studiengänge, die doch mit mehr Freizeit verbunden sind als ein normaler Arbeitsalltag - auch wenn auch viele deutsche Studenten noch nebenbei arbeiten gehen.
Schon wieder nicht für alle Deutschen möglich aber doch für recht viele: Dank eines guten Studentenjobs und/oder der Unterstützung der Familie nach der Schule, während des Studiums oder danach irgend etwas zu machen, was nicht zwingend zur Ausbildung gehört - sei es, einfach nur ein Jahr zu reisen ... oder sich ein, zwei Jahre ehrenamtlich z.B. sozial zu engagieren ... oder ein Jahr im Ausland zu studieren ... oder das Studium/die Ausbildung noch auszuweiten und etwas zu lernen, was nicht unbedingt für den Abschluss notwendig ist ... oder bei manch einem auch, einfach eine Zeit nichts tun, mit Freunden Spass haben, sich mit dem Studium mehr Zeit zu lassen, um weniger Stress zu haben oder durch längere Vorbereitung bessere Noten zu bekommen. Wie gesagt: nicht alle aber doch relativ viele junge Leute können sich das hierzulande zumindest für ein, zwei Jahre leisten ... und einige auch für deutlich länger.
Auch diese beiden oben genannten Dinge tragen bei vielen Leuten hier dazu bei, dass sie sich eine Lebensgestaltung leisten können, die relativ lange über die Kindheit hinaus relativ viel Freizeit ermöglicht, was sicherlich etwas ist, was den Begriff "Spassgesellschaft" deutlich prägt.
Ein anderes Thema, welches eng mit dem Begriff Spassgesellschaft zu tun hat, ist sicherlich das Thema Familienplanung. Insgesamt bekommen die Deutschen immer weniger Kinder ... und die Leute, die Kinder bekommen, immer später. Natürlich gibt es auch hier noch ganz junge Eltern - auch junge Paare, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, nicht lange auf Kinder zu warten, sondern eine Familie zu gründen, solange sie noch jung sind. Aber der Großteil der jungen Leute entscheidet sich, wenn überhaupt, dann immer später dazu, Kinder zu bekommen. Das erste Kind mit Ende 20 oder so um die 30 rum ist nichts Ungewöhnliches. Aber auch Frauen, die mit 40 oder Mitte 40 ihr erstes Kind bekommen, sind keine wirklichen Exoten mehr. Die Gründe, die dazu führen, sind vielfältig. Zum einen geht man hier doch lange zu Schule und Uni. Und auch wenn es doch auch einige wenige Studenten gibt, auch Frauen, die Familiengründung und Studium parallel schaffen, tun sich das v.a. die Frauen nur selten an. In dem Moment, wo man das Studium unterbricht und länger dafür braucht, hat man Angst, dass der Wert des Abschlusses geringer wird und man es schwerer haben wird, nach dem Studium einen Arbeitsplatz zu bekommen. Kindererziehung und ein anspruchsvolles Studium parallel, ist schon gewagt. Und selbst wenn es ein lockerer Studiengang ist, entscheiden sich nur wenige zu dem Zeitpunkt für diesen Schritt. Das liegt wohl daran, dass neben den langen Ausbildungszeiten noch andere Gründe eine Rolle spielen. Zum einen eben auch dieser Wunsch vieler, viel "Spass" zu haben, viel Freizeit zu haben, flexibel zu bleiben, sich zu vergnügen. Man möchte die Zeit, in der man ohne familiäre Pflichten zu Partys gehen oder durch die Welt reisen kann, so weit in die Länge ziehen, wie es nur irgendwie geht. Ein weiterer Grund ist, dass die Deutschen wohl dazu neigen, sich in allen Dingen absichern zu wollen. Wir haben Versicherungen für und gegen alles; viele neigen dazu, wegen jedem Mist einen Spezialisten zu Rate zu ziehen - sei es nun der Arzt, zu dem man wegen jedem Husten rennt, oder sonst ein Berater oder Fachmann. Umso wohlhabender eine Gesellschaft ist, umso mehr Dinge bezüglich zum Beispiel Bildung, Freizeitgestaltung, Reisen, Spielzeuge, Klamotten, eigenes Zimmer, technischer Schnickschnack ... sind auch für einen Großteil der Kinder normal. Und man möchte doch, dass das eigene Kind da mithalten kann und nicht am Rande stehen muß, ausgelacht von den anderen, weil es nicht mit zur teuren Klassenfahrt kann oder kein ordentliches Handy hat. Dieser "Wohlstandszwang" zusammen mit dem Wunsch nach Absicherung und dem eigenen Spassbedürfnis, was ja auch Kosten verursacht, führen wohl auch dazu, dass sich viele erst spät zu einem Kind entscheiden. Ein weiterer Grund mag sein, dass gerade diese Party- und Spasswelt von Kurzlebigkeit und Oberflächlichkeit geprägt ist. Es gibt gerade in diesem Teil der Bevölkerung, der diese Spassgesellschaft ausmacht, extrem viele Singles, Leute die sich nicht binden können oder auch nicht wollen, weil sie entweder Angst vor der Verantwortung haben oder auch, weil dieses Streben nach dieser Perfektion von Vergnügen und Sichwohlfühlen auch bedeutet, dass der Partner "perfekt" sein müßte. Und das gibt es nicht. Ein weiterer Punkt ist, dass man hierzulande auch das Kinderhaben trotz dieser Startprobleme bei der Familiengründung irgendwann als Luxus und eben Teil der Perfektion ansieht. Das bedeutet aber zum einen, dass selbst die, die nicht aus wohlhabenden Familien kommen und Berufe mit normalem Einkommen haben, davon träumen, dass die Kinder in einem eigenen Garten groß werden, in einem schönen Häuschen u.s.w. ... und es bedeutet auch, dass immer mehr Eltern darauf Wert legen, viele Förderangebote für ihre Kinder wahrzunehmen und viele tolle Familienfreizeitangebote. Alles passt in diesen Traum von Spass und Perfektion. Alles kostet Geld. Und immer bedeutet es auch, dass man nicht nur das Geld aufbringen muss, sondern auch viel Zeit gemeinsam mit den Kindern verbringen möchte, also nicht rund um die Uhr arbeiten kann. Das ist ein wichtiger Teil dieses Traumes "Spassgesellschaft", der mit dafür sorgt, dass die Leute immer später und immer weniger Kinder bekommen. Sie warten, bis sie es sich leisten können, eine größere Wohnung zu mieten oder gar ein Häuschen zu bauen, bis zur nächsten Beförderung, bis zur nächsten Gehaltserhöhung, bis sie dies oder jenes erreicht haben, in der Hoffnung, dass das dazu führt, dass sie sich irgendwann dieses "perfekte Familienleben" ermöglichen können. Aber natürlich fallen viele schon finanziell damit auch auf die Nase. Und selbst wenn es im materiellen Bereich klappt und man trotzdem noch genügend Zeit für die dann spät gegründete Familie hat, ist das ja keine Garantie für Glück und Zufriedenheit.

Aber nicht nur die jungen Leute prägen diesen Begriff "Spassgesellschaft". Gerade die Senioren spielen hier auch eine wichtige Rolle, denke ich. Viele unserer jetzigen Rentner haben noch den Krieg erlebt. Viele haben ihre Existenz von nichts heraus aufgebaut. Aber viele hatten auch sehr gute Chancen, sich beruflich etwas Gutes aufzubauen, vom sogenannten Wirtschaftswunder zu profitieren und sich wirklich gute Rentenansprüche zu verdienen, auch wenn die letzten Punkte die Senioren aus dem ehemaligen Westdeutschland deutlich mehr betreffen als die aus der ehemaligen DDR, wo eine relative Armut unter den heutigen Senioren deutlich häufiger anzutreffen ist - und das, obwohl dort im Gegensatz zum Westen des Landes fast alle Frauen berufstätig waren. Wie dem auch sei - durchweg alle Senioren profitieren natürlich auch davon, dass sich im medizinischen Bereich in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Menge getan hat, und sehr viele Leute noch viele Rentenjahre mit recht guter Gesundheit genießen können. So langsam macht man sich hier Gedanken, weil man weder eine ausreichende Rente noch eine so gute gesundheitliche Versorgung für alle auf Dauer finanzieren kann. Aber auch wenn man schon jetzt von einer zunehmenden Altersarmut hierzulande spricht und es auch in Deutschland viele Senioren und auch jüngere Schwerkranke und Behinderte gibt, die in Heimen mit sehr schlechter Pflege mehr vor sich hinvegetieren, als dass sie wirklich noch ein Leben leben dürfen, ist es doch sehr vielen Rentern möglich, nach ihrem Berufsleben, wenn sie es denn möchten, noch dieses "Spassleben" zu kosten. Das Einbinden der Großeltern in "Familienpflichten" wie "Enkelbeaufsichtigung", Helfen im Haushalt der Jüngeren u.s.w. ist deutlich geringer geworden, als das noch vor ein, zwei Generationen der Fall war. Oftmals wohnen die Familien ja auch weit auseinander - nicht selten auch unfreiwillig, weil z.B. in der Nähe kein Arbeitsplatz gefunden wurde. Ja, und viele Senioren nutzen ihre Gesundheit und die freie Zeit, um z.B. viel zu reisen, Sport zu treiben, zu Kulturveranstaltungen zu gehen, in vielerorts speziell angebotenen Seniorenkursen noch verschiedene Dinge zu lernen wie eine neue Fremdsprache, den Umgang mit Computern oder etwas Künstlerisches u.s.w. Im Scherz sagt man hier oft, so wenig Zeit wie Rentner hat sonst niemand ... weil viele Rentner nur so von einem "Termin" zum nächsten fallen. Aber natürlich sind auch hier nicht alle Rentner so. Nur gerade diese sehr aktiven und agilen Rentner fallen natürlich besonders auf ... und sie werden natürlich auch lieber zum Gespächsthema gemacht als die stillen, ruhigen, zurückgezogen lebenden ... oder gar die kranken, gebrechlichen und/oder sehr ärmlich lebenden Senioren, die sich diese Vergnügen gar nicht leisten können.

Die Serien, die Sie ansprechen ... da muss ich sehr schmunzeln. Es würde mich gerade in diesem Zusammenhang interessieren, aus welchem Land Sie kommen, welche Fernsehserien es dort gibt und wie viel Ähnlichkeiten die mit dem Alltagsleben der meisten Menschen in Ihrer Heimat zu tun haben. Ich habe selbst keinen Fernseher und schaue nur ab und an bei Freunden etwas fern - und dann keine Serien. Ich sehe nur ab und an am Rande kurze Ausschnitte deutscher Serien. Und ich schaue ab und an im Internet die ein oder andere einzelne Folge von Serien in den Fremdsprachen, mit denen ich mich beschäftige. Ich habe aber den Eindruck, dass Serien in allen Gegenden der Welt nicht viel mit dem wirklichen Leben zu tun haben - ganz egal, ob das nun Familienserien, Krimiserien oder sonstige Serien sind. Sie spiegeln eher die Träume der Leute wider. Und auch wenn sich die Vorstellung von Spass von Volk zu Volk minimal unterscheiden mag, gerade das Familienglück und die Familienplanung in den verschiedenen Ländern unterschiedlich gesehen werden, so sind einige Teile dieser Träume, die Sie in Ihrer Frage nennen, doch überall sehr ähnlich - nämlich die materiellen. Und wenn man sich die Serien anschaut, sieht man doch in allen Ländern viel mehr Leute mit schicken Häusern, schicken Wohnungseinrichtungen, schicken Klamotten, selbst früh nach dem Aufstehen wie frisch gestylt aussehend ... und die meisten haben ein tolles Auto, trotz aller Intrigen und all dem Liebeskummer auch immer irgendwo tolle Freunde. Ich glaube, in den letzten Jahren gibt es dann noch die gegenteiligen Fernsehsendungen, die Menschen zeigen, die in Armut leben, eventuell sogar vollkommen verwahrlost, die im Leben versagt haben, eine schlechte Bildung haben ... so die Sendungen, die dann den Leuten, die mit den Schickimickiserien nicht mithalten können und darunter leiden, das Gefühl geben, da gibt es noch welche, die ärmer, hässlicher, fetter, dümmer, unglücklicher u.s.w. sind als sie selbst. Sendungen, die einen also nicht träumen lassen von einem "perfekten" Leben, sondern die das Selbstwertgefühl steigern sollen. Damit ist der Gegenpol zu dieser Traum-und Glanzwelt in den Fernsehalltag gedrungen. Wenn man aber überhaupt etwas Echtes in diesen Sendungen findet, dann allenfalls Träume und Extremwelten, nicht das breite Mittelfeld. Wozu das auch zeigen, was die Leute Tag für Tag selbst erleben? Und wahrscheinlich ist auch das ein Teil dieser Spassgesellschaft - oder der weltweit verbreiteten Spassgesellschaften: sich vor den Fernseher zu hocken, sich die tollen Glanzwelten anzuschauen, ganz ohne Risiken, ganz ohne Anstrengungen, ganz ohne Verantwortung - einfach nur auf der Couch zu hocken und sich das Gehirn vernebeln zu lassen, anstatt sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wie bei allen anderen Dingen auch - wie bei dem Diskobesuch, bei der Party mit Freunden, der Lust auf einen hübschen Pulli oder ein schönes Zuhause wird jedoch auch bei dem Fernsehkonsum diese Spasssucht sicherlich nicht durch das Konsumgut selbst definiert - sondern lediglich durch die Menge des Konsums und den Stellenwert, den dieses Konsumgut in der eigenen Bewertung im eigenen Leben einnimmt.
Als 1:1-Spiegel einer Gesellschaft kann man Serien und all diese billigen Fernsehsendungen jedenfalls in keinem Land sehen, denke ich. Meines Erachtens ist der Werbeeffekt, den solche Sendungen haben, meistens größer als der Bezug zur bereits existierenden Umwelt. Sicherlich orientiert man sich an den Träumen der breiten Masse. Aber vor allem verstärken solche Sendungen solche Träume noch. Es wird den Zuschauern glaubhaft gemacht, dass das dort vorgegaukelte Leben realistisch und anstrebenswert sei. Aber, wie bereits geschrieben, das ein Spiel, das fast überall gespielt wird - ob nun mit dem Bestreben, die Leute in eine bestimmte Richtung zu lenken, oder einfach nur, weil viele Menschen sich nach solchen Träumen auch sehnen und solche Serien leicht zu produzieren sind und relativ hohe Einschaltquoten bringen, ist eine andere Frage.
Und auch das Streben nach Vergnügen, was es ja Zweifels ohne schon immer und überall gab, nimmt nicht nur in Deutschland seit einigen Jahren massiv zu. Ja, mittlerweile ist die "Spasssucht" im extremen Maße und mit einer starken materiellen und kurzweiligen Note nicht einmal mehr ein Phänomen, welches nur die Länder kennzeichnet, die wir die "reichen Indurstriestaaten" nennen. Ich reise sehr viel, arbeite auch immer wieder einmal einige Monate in verschiedenen Ländern, v.a. in Europa, Zentral- und Südostasien, kenne dieses Rumreisen auch schon von Kindesbeinen an und denke, dass ich, auch wenn ich längst nicht die ganze Welt kenne, zumindest einen relativ guten Überblick auch über den Tellerrand Deutschlands hinweg habe. Es sind nie und nirgends alle - aber in dem Maße, wie man es sich von der finanziellen Lage her leisten kann, nimmt diese Sehnsucht nach dem, womit man heutzutage teilweise sogar schon das Wort "Freiheit" verbindet, diesem Kaufen von allem, was das Herz begehrt, jetzt und sofort, diesem am liebsten endlosen Feiern, Lachen, Tanzen, Trinken, am liebsten ohne Verbindlichkeiten, den sogenannten Freundetreffen, ohne dass man sich auf einen einzelnen Menschen tiefer einlassen möchte ... all das nimmt fast überall, wo ich in den letzten Jahren war, stark zu. Allerdings sind auch überall Leute zu finden, die damit gar nichts anzufangen wissen, die diese Tendenzen auch stark kritisieren oder sich zumindest für sich selbst für ein anderes Leben entscheiden. Auch in Deutschland gibt es davon viele - und durchaus auch junge Leute. Einige leben unauffällig ihr Leben und machen einfach nur verschiedene "Moden" nicht mit. Andere fallen dadurch auf, dass sie z.B. zu sogenannten Aussteigern werden, dass sie entweder diese dichtbesiedelten Gegenden verlassen und irgendwohin gehen, wo so wenige Menschen leben, dass jeder noch halbwegs seine eigene Welt schaffen und leichter nach seinen eigenen Werten leben kann ... oder sie bleiben, wo sie sind, fallen dann aber besonders auf durch ein sich extrem vom Mainstrem unterscheidenden Leben, meistens in die Richtung, dass sie z.B. vielen technischen Schnickschnack nicht nutzen, Kleidermoden nicht mitmachen, stark umweltbewusst leben und sich dementsprechend ernähren ... Andere begeben sich auf spirituelle Suche, gehen für einige Zeit ins Kloster, beschäftigen sich oftmals mit verschiedenen asiatischen Lebensphilosophien, Religionen, Ernährungsweisheiten, Mediationstechniken ... andere schließen sich Sekten an oder anderen Religionsgemeinschaften, oftmals sehr extrem ausgerichteten, christlichen wie anderen, oftmals eben diesen, die diese alten Werte und Regeln, die (z.B. durch die sogenannten "Blumenkinder", hier in Deutschland v.a. durch die 68er Bewegung eingeleitet) immer mehr aufgeweicht wurden, noch in besonders strenger und "altmodischer" Weise wertschätzen und vorschreiben. Leider triften dadurch viele, die meiner Meinung nach zu Recht einen gesellschaftlichen Verfall und ein zu extremes Auflösen von Werten, ohne dass wirklich nennenswerte neue Werte nachrücken, vermissen, nicht selten in das andere Extrem ab, ein Extrem, das nicht selten nicht nur verschiedene traditionelle Werte wie z.B. Genügsamkeit und verschiedene Vorstellungen von Sittlichkeit hochhält, sondern oftmals auch alle Menschen extrem verachtet, die anders darüber denken. Und damit sind wir an einem Punkt, an dem das Thema Spassgesellschaft politisch wie gesellschaftlich zu zutiefst brisanten und hochaktuellen Themen übergeht. Doch darüber zu sprechen oder zu schreiben, würde an dieser Stelle zu weit führen. Vielleicht haben Sie mit Ihren Schülern jedoch Zeit dafür, diesen Faden weiterzuspinnen.

 

Gespeichert von Gast (nicht überprüft) am Sa., 22. November 2014 - 01:24

Das ist eine super Erklärung. Vielen Dank Nerpa! Seit lange Zeit beschäftigt mich diese Frage auch. Aber ich wusste nicht wie ich die Frage stellen soll und wo. Morgen werde ich mit der Ruhe noch ein Mal lesen.

 

Gespeichert von Zigwan (nicht überprüft) am Mo., 24. November 2014 - 23:35

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